Abb. 1: Das neue Viega Seminarcenter „Viega World“ ist im virtuellen Modell integral mit der Arbeitsmethodik BIM geplant.
Systemanbieter Viega hat am Standort Attendorn-Ennest mit dem Neubau eines interaktiven Weiterbildungszentrums, der rund 12 000 Quadratmeter großen „Viega World“, ein europaweites Referenzprojekt für die Zukunft des Bauens geschaffen. Denn erstmals wurde ein Bildungsbau derart konsequent integral mit der Arbeitsmethodik BIM (Building Information Modeling) realisiert. Viele der Erkenntnisse, die seit der Grundsteinlegung im Mai 2018 gewonnen wurden, sind deshalb auch schon in die einschlägigen Normen und Regelwerke, wie die Richtlinienreihe VDI 2552, eingeflossen. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat die „Viega World“ bereits mit „Platin“, der höchstmöglichen Vorab-Zertifizierung für nachhaltiges Bauen, ausgezeichnet. Für die Planung der TGA kamen die Lösungen von LINEAR zum Einsatz.
Ende 2022 ist die als klimaneutrales Gebäude ausgelegte „Viega World“ fertiggestellt worden. Daran schließt sich eine mehrmonatige, BIM-basierte Phase der geordneten Inbetriebnahme an. In dieser wird das interaktive Weiterbildungszentrum unter anderem energetisch optimal auf die Betriebsbedingungen eingestellt, bevor Viega dort dann auf 7.500 Quadratmetern Fläche Schulungen rund um die Kompetenzthemen Trinkwasserhygiene, Energieeffizienz, Schall- und Brandschutz sowie BIM und seine Umsetzung anbietet.
„Viega World“ – das Herz der Marke Viega
Der Neubau der „Viega World“ wurde notwendig, weil das bestehende Seminarcenter mit mehreren tausend Besuchenden pro Jahr immer wieder an seine Kapazitätsgrenzen stieß. Mit dem viel beachteten Neubau ist jetzt nicht nur die dringend notwendige Erweiterung geschaffen, sondern es wird gleichzeitig ein hoch modernes didaktisches Konzept umgesetzt: Das Gebäude selbst ist Schulungsinhalt.
Zitat von Ulrich Zeppenfeldt, Vice President Global Service and Consulting bei Viega und mitverantwortlich für das Projekt: „Mit den Themen Trinkwasserhygiene, Energieeffizienz und Brandschutz sowie den dazu passenden technischen Systemlösungen steht Viega in der TGA für eine Markenphilosophie, die von Praxisnähe und Zukunftsfähigkeit getragen wird. Beim Neubau des Weiterbildungszentrums dokumentieren wir das über die Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM und über einen Energiestandard, der sich ressourcenschonend und nachhaltig an höchsten Maßstäben orientiert. Die ,Viega World‘ ist damit sozusagen das Herz der Marke Viega.“
Vorabzertifizierung der DGNB in Platin
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bestätigte indessen die Qualität der nachhaltigen Bauweise: Sie hat die „Viega World“ bereits mit der Vorabzertifizierung in Platin ausgezeichnet. In diese Bewertung flossen neben der ökologischen und ökonomischen Qualität des Projektes auch die sozio-kulturelle, die funktionale, die technische und die Prozess- sowie letztlich auch die Standort-Qualität ein. Ulrich Zeppenfeldt: „Dieser anspruchsvolle Kanon an Anforderungen lässt sich mit konventionellen, linear an den Gewerken entlang geführten Planungsansätzen nicht erfüllen. Durch die Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM konnten wir den kompletten Lebenszyklus der ,Viega World‘ präzise entlang des Digitalen Zwillings abbilden und das Gebäude entsprechend detailliert optimieren.“
Unter anderem dank intelligent genutzter Wärmeeinträge, Photovoltaik auf dem Dach bzw. an der Fassade und auf einer benachbarten Freifläche sowie dank einem Nahwärmeverbund mit einer benachbarten Viega Produktionshalle erzeugt die „Viega World“ in der Netto-Primärenergiebilanz mehr Energie, als sie im Betrieb benötigt. Ulrich Zeppenfeldt: „Über die Integrale Planung nach der Arbeitsmethodik BIM wurden hierfür beispielsweise schon im Vorfeld die unterschiedlichsten Wechselbeziehungen zwischen der Fassadengestaltung, also dem daraus zu erzielenden Wärmeeintrag, und thermischer Behaglichkeit im Raum, unter anderem der Kühlungsbedarf, berücksichtigt und effizienzoptimierend in die Detailplanung übernommen.“ Die „Viega World“ ist zudem Demonstrator in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Forschungsvorhaben „Energie.Digital“. Methoden des Linked Data machen es möglich, Betriebsdaten künftig live an einem Digitalen Zwilling zu visualisieren.
Auf vergleichbare Weise entstand das sanitärtechnische Installationskonzept für das interaktive Weiterbildungszentrum. Denn in dem von bis zu 200 Menschen gleichzeitig besuchten Gebäude wechseln sich üblicherweise Phasen der Nicht-Nutzung mit plötzlich auftretenden, hohen Spitzenlasten während des Seminarbetriebs ab, ohne dass es zu hygienekritischer Stagnation kommen darf. Wie man die Trinkwassergüte mit modernster Viega Systemtechnik und dem Trinkwasser-Managementsystem „AquaVip Solutions“ unterstützen kann, ist in dem neuen Seminarcenter künftig ebenfalls zu sehen.
Ähnlich komplex stellte sich die Planung im Viega Kompetenzfeld „Brandschutz“ dar. Denn der dreigeschossige Neubau ist nicht nur mit Seminar- und Büroräumen, sondern ebenfalls mit einer Tiefgarage ausgestattet. Es greifen also neben den bekannten Brandschutzanforderungen für Leitungsdurchführungen innerhalb des Gebäudes zusätzlich die verschärften Anforderungen der Sonderbauverordnung NRW. Hier war die Integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM besonders hilfreich; Stichwort: Schlitz- und Durchbruchsplanung im Kontext der Statik. Die dafür gefundenen Lösungen mit Viega Systemen werden künftig ebenfalls Bestandteil des Seminarkonzeptes im Neubau in Attendorn-Ennest sein, genauso wie im Übrigen die Themenkomplexe Schallschutz, Lüftung/Klimatisierung oder die aus der Gebäudeautomation abgeleiteten Bedienkonzepte, in denen der integrale Planungsansatz ebenfalls zu interessanten Detaillösungen geführt hat.
Durch die breite Integration der Viega Systeme in die Lösungen von LINEAR konnten die letztlich verbauten Bauteile direkt in die Planung integriert werden.
Durchgängiges Höchstmaß an Qualität
„Ziel war es, in allen Bereichen ein Höchstmaß an Qualität in Planung, Ausführung und späterer Nutzung zu erreichen“, so Ulrich Zeppenfeldt. Und zwar nicht nur in Fragen der Bauausführung oder einer möglichst wirtschaftlichen Betriebsphase, sondern vorrangig natürlich in Bezug auf die hohe Schulungsqualität der Viega Seminare. Die technische Gebäudeausrüstung des interaktiven Weiterbildungszentrums ist derart installiert, dass sie auf dem neuesten Stand der Didaktik erst theoretisch erläutert und dann in sichtoffenen Schächten und Durchführungen in der Praxis vorgeführt werden kann. Zudem unterliegen alle im Gebäude ablaufenden Prozesse einem lückenlosen Monitoring. Die Schulungsteilnehmenden können dadurch energetische Bedarfsentwicklungen genauso am Objekt nachvollziehen wie auch temporäre Spitzenlasten beim Trinkwasserbedarf oder die Temperaturverlaufskurve in Zirkulationsleitungen.
100% BIM führt zu neuen Wegen
Die fundamentalen Erkenntnisse, die beim Projekt „Viega World“ gesammelt worden sind, betreffen dabei insbesondere die Objektbeschreibung durch den Auftraggeber (Stichwort: Auftraggeber-Informationsanforderungen, AIA), die Prozessorganisation und nicht zuletzt die Projektabwicklung (Stichwort: BIM-Abwicklungsplan). In Letzterer wurde über die Kollaboration der verschiedenen Gewerke sogar juristisches Neuland betreten. „Im Ergebnis führte dies zu einer komplett neuen konzept- und prozessbasierten Herangehensweise, die für derartige Projekte künftig aber zum Standard werden dürfte“, so Prof. Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck, RWTH Aachen University, Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen. Er hat in dem Viega Projekt den Prozess der Integralen Planung mit BIM zusammengeführt und setzt das konzeptbasierte Vorgehen jetzt ganzheitlich in die Praxis um.
Technische Gebäudeausrüstung als Strukturgeber
Dazu gehörte beispielsweise auch, dass die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) zum Strukturgeber des Bauens wurde. Über die dezidierte Bedarfsplanung hatten die „Lebensadern des Gebäudes“ – wie die (Rohr-)Leitungssysteme für Wärme, Kälte, Trinkwasser und Energie – ein solches Gewicht, dass die umgesetzten Trassenkonzepte zum Teil noch vor Architektur und Tragwerk im Planungsprozess berücksichtigt wurden.
Gebäude wird selbst zum Schulungsinhalt
Ein zweiter entscheidender Grund für die TGA als Strukturgeber: Die „Viega World“ wird für die Integrale Planung und den entsprechenden Betrieb selbst Schulungsgegenstand. Durch die sichtoffenen Schächte und über das umfassendes Monitoring wird für die Besucher des interaktiven Weiterbildungszentrums künftig in Echtzeit erlebbar, welche Konsequenzen diese planerische Herangehensweise für den Entwurf von Gebäuden in Zukunft haben wird und welcher Nutzen sich daraus für Investoren und Betreiber ergibt. Dazu gehören beispielsweise Aspekte wie Energiemanagement und Energieeffizienz, Erhalt der Trinkwassergüte oder Schonung der Ressourcen.
Extrem detaillierte Vorplanung
Über die Kombination aus Strategie, Umsetzung, Schulungen und Tools wird die „Viega World“ nach der mehrmonatigen Inbetriebnahmephase gewissermaßen die Brücke schlagen zwischen der theoretischen Basis, die zu BIM mittlerweile in den einschlägigen Normen- und Regelwerken gelegt wurde, und der Umsetzung über alle Stufen der Planungs- und Realisierungsphase hinweg: „Im Gegensatz zu vielen anderen, durchaus auch vorbildlichen BIM-Projekten ist der integrale Planungsgedanke hinter BIM in der ,Viega World‘ in bislang nicht dagewesener Tiefe durchdacht und über alle Leistungsphasen hinweg in ein entsprechendes Planungs- und Handlungskonzept gebracht worden“, so Prof. Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck.
Das sollte im Übrigen ausgesprochen weitreichende Folgen für den Auftraggeber wie für den Fachplaner oder später den Generalübernehmer haben. Denn Ersterer – in diesem Falle Viega als Betreiber – musste unter anderem die vorgesehene Nutzung des Seminarcenters und die dahinterstehenden Prozesse in einer ungewohnten Detailtiefe beschreiben. Der Fachplaner wiederum sah sich durch das dezidierte Lastenheft sowie die vom Projektsteuerer entwickelten, strukturgebenden Elemente zum Beispiel mit einer raumbezogenen Betrachtungsweise konfrontiert. Und der Generalübernehmer, hier: eine ARGE, hatte die detailgetreue (Vor-)Planung mit entsprechender Datentiefe in enger Kollaboration mit den weiteren Prozessbeteiligten nicht nur wie üblicherweise gewohnt in Baugruppe, Schalung, Beton und Hochbau umzusetzen, sondern im Prinzip jeden Schritt sogar noch digital nachzuführen. Nur dann kann das zugrunde liegende digitale Modell die ihm zugedachten Funktionen in der späteren Betriebs- und idealerweise sogar Rückbauphase nach Ende der Nutzungszeit erfüllen.
„Und auch hier“, so Prof. Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck, „konnten am Beispiel der „Viega World“ Lernschritte vollzogen werden, welche die künftige Ausgestaltung des Bauens mit BIM noch maßgeblich beeinflussen werden. Ganz praktische Fragen wie die des Datentransports aus dem Lastenheft bzw. dem digitalen Raumbuch heraus in die nachfolgenden Gewerke unter Berücksichtigung von Medienbrüchen – gehören ebenso dazu wie juristische Fragen zur Ausgestaltung der Verträge, wenn es um die eindeutige Zuordnung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten geht.“
Viega GmbH & Co. KG
Viega Platz 1
57439 Attendorn
Deutschland