Der ursprünglich aus Amerika stammende Wettbewerb hat in diesem Jahr das erste Mal in Deutschland (Wuppertal) stattgefunden. Unter dem Namen Solar Decathlon Europe 2021/22 …goes urban! ging es diesmal nicht nur um das Gebäude selbst, sondern auch um das Leben in der Stadt der Zukunft. Wir durften das Team LOCAL+ der FH Aachen mit unseren Softwarelösungen unterstützen und standen dem Team im Projektverlauf beratend zur Seite. Wir freuen uns sehr, dass die Arbeit von LOCAL+ in gleich mehreren Disziplinen überzeugen konnte und am Ende das Team den 5. Platz in der Gesamtwertung erreicht hat.
Wie genau funktioniert der Wettbewerb?
Über einen Zeitraum von circa 2 Jahren haben 18 Teams aus 11 Ländern ein Gebäude entworfen, geplant und dann im Juni in Wuppertal gebaut. In den folgenden 10 Disziplinen traten die Teams gegeneinander an:
- Architektur
- Gebäudetechnik & Bauphysik
- Energieperformance
- Realisierbarkeit & sozial-ökonomischer Kontext
- Kommunikation & Bildung
- Nachhaltigkeit
- Komfort
- Funktion
- Urbane Mobilität
- Innovation
Bewertet werden sowohl das Gesamtgebäude-Konzept in der Design Challenge als auch die in Wuppertal auf dem Solar Campus aufgebauten Demonstratoren in der Building Challenge. Je nach Contest erfolgt dies entweder durch Messungen oder durch eine internationale Fachjury. Insgesamt haben die Teams im Laufe des Wettbewerbs 7 Abgaben zu meistern, in denen sie ihre Projektfortschritte und die Umsetzung der im SDE 21/22-Regelwerk festgelegten Aufgaben dokumentieren. Diese fließen in die Gesamtbewertung ein. Das Team, das am Ende die höchste Punktzahl erzielt hat, gewinnt.
Das Team
Die Fachhochschule Aachen war mit dem Team LOCAL+ vertreten, das aus mehr als 20 kreativen und ambitionierten Architekturstudenten besteht, die von Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern aus verschiedenen Fachbereichen und Kooperationspartnern wie dem Forschungszentrum Jülich unterstützt wurden. In enger Zusammenarbeit wollen sie das Ziel einer zukunftsfähigen Stadt in einen nachvollziehbaren Kontext stellen und sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft dazu anregen, neue nachhaltige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. LOCAL+ hat eine Arbeitsstruktur entwickelt, in der alle Aufgaben in Arbeitspakete unterteilt werden. Diese Themen wurden auf verschiedene Kleingruppen verteilt, in denen die Studierenden intensiv an den Themen arbeiten. Die Kleingruppen wurden von Teamleitern geführt, die die laufenden Aufgaben strukturierten und dafür sorgten, dass die Kleingruppen alle gesetzten Ziele erreichten. Die Teams teilten sich wie folgt auf:
Team Frame
befasste sich mit den thematischen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs. Dazu gehörten neben Nachhaltigkeit oder städtischem Kontext z. B. die Erschwinglichkeit und Rentabilität des Projekts. Die Mitglieder erarbeiteten Konzepte und Methoden, die im Entwurf umgesetzt werden können.
Team Communication
befasste sich mit allen Kommunikationsmaßnahmen, die LOCAL+ gestaltet, um die Bekanntheit und Sympathie bei den Zielgruppen zu steigern. Dies reichte vom Corporate Design über Pressemitteilungen, Social Media und Website bis zur Gestaltung weiterer Materialien und Merchandise-Artikel.
Team Engineering
befasste sich mit sämtlichen energiebezogenen Komponenten des Projekts. In Zusammenarbeit mit dem Solar Institut Jülich entwickelten sie energieeffiziente Systeme mit Fokus auf Nutzen, innovative Materialien und Nachhaltigkeit.
Team Architecture and Construction
war in erster Linie für die Visualisierung des Entwurfs der Design Challenge (DC) und der House Demonstration Unit (HDU) verantwortlich. Darüber hinaus befassten sich die Mitglieder mit allen baulichen Anforderungen des Gebäudes. Beginnend mit der Überprüfung und Anpassung der Anforderungen wurden alle speziellen Details entwickelt.
Team Support
war für die Koordination, Kontrolle und die finanziellen Aspekte von LOCAL+ verantwortlich. Es stand in Kontakt mit den SDE21/22-Organisatoren und den verschiedenen Fachbereichen der FH Aachen. Außerdem unterstützte und begleitete es die Studierenden während des Wettbewerbs.
Das Konzept
„WE MOVE YOUR EVERYDAY LIFE, LITERALLY.“ Unter dieser Vision stellt das Team sein Konzept vor: Bewegung in das Leben der Bewohner des LOCAL+ Hauses zu bringen – und zwar durch ein flexibles Innendesign, integrative gemeinschaftliche Lebensräume und neue Nachbarschaftskonzepte. LOCAL+ steht für „Low Carbon Lifecycle +“. Dabei verweist das Plus auf den größeren Zusammenhang des Projekts, das nicht nur Material und Baustil beschreibt, sondern Lebensmodelle und Wohnkonzepte ganzheitlich betrachtet und gestaltet. LOCAL+ stärkt nachhaltig das gemeinschaftliche Zusammenleben durch individuelle Lebensräume. Im Wettbewerb setzte sich das Team LOCAL+ mit der urbanen Situation „Closing Gaps“ auseinander und entwickelte ein innovatives Wohngebäude für eine Baulücke in Wuppertal.
Ausgangspunkt für die Konzeptentwicklung bildeten vor allem die Verknappung von Ressourcen und urbanem Wohnraum, die Zunahme von Single-Haushalten und die ständig wechselnden Bedürfnisse an den Wohnraum. Das Team möchte kurz gesagt mit positivem Beispiel vorangehen und eine Architektur entwickeln, die sowohl auf ökologische als auch auf ökonomische und soziale Anforderungen reagiert. Ziel ist es, das LOCAL+-Konzept als Modell für andere Projekte zu etablieren. Das Wohnkonzept soll die begrenzten Flächen in der Stadt optimal nutzen, Wohnraum zu bezahlbaren Mieten bereitstellen und zusätzlich einen Mehrwert für das gesamte Quartier schaffen. Innovative und flexible Grundrisse gewährleisten währenddessen eine Anpassung an den persönlichen Tagesablauf. Um zudem die individuell genutzte Fläche pro Person zu minimieren und Gemeinschaftsflächen zu maximieren, ist das Gebäude in 2 verschiedene Zonen unterteilt: Erdgeschoss und Untergeschoss bilden zusammen mit dem Garten den Gemeinschaftsbereich, die oberen 4 Geschosse dienen privaten Wohn-Gemeinschaften für je 3 Personen pro Etage.
Konzept-Zusammenfassung
- Wohngemeinschaft für 12 Bewohner
- 4 Wohn- und 2 Gemeinschaftsetagen
- Nettowohngrundfläche ca. 410 m² (+ Garten ca. 100 m²)
- Raum-in-Raum-Konzept
- Fassade mit Grün- und PV-Elementen
- Modulare Konstruktion in Massivholzbauweise
- Förderung der Gemein- und Nachbarschaft
- Schaffung von Lebensraum für Alleinlebende
- Innovativer und flexibler Grundriss
- Bau eines nachhaltigen Gebäudes hinsichtlich Konstruktion, Energie- & Ressourcennutzung
Der CUBE
Das Highlight des Entwurfs ist ein vollständig mobiler Wohnraum, der den Bewohnern alles bietet, was sie auf kompaktem Raum benötigen. Der sogenannte CUBE ist so konzipiert, dass er im Laufe des Tags je nach den Bedürfnissen der Bewohner bewegt werden kann. Dies ermöglicht einen völlig flexiblen und anpassungsfähigen Grundriss in jeder Wohnung des LOCAL+-Hauses.
Diese frei beweglichen Raumeinheiten sorgen also zum einen für räumliche Vielfalt, indem sie anpassungsfähige Zonierungen von Räumen ermöglichen, fungieren zum anderen aber als persönlicher Rückzugs- und Arbeitsraum. Die minimierte Größe stellt Interaktion, Kommunikation und das Zusammenleben rund um den CUBE in den Vordergrund und reduziert die genutzte Wohnfläche pro Person (vgl. Abb. 5).
Energieeffizienz durch innovatives TGA-Konzept
Ziel von LOCAL+ war es, ein Gebäude zu entwickeln, das durch innovative und zukunftsweisende Systeme überschüssige Energie produziert: ein sogenanntes Plus-Energie-Haus. Die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien soll dafür sorgen, dass LOCAL+ innovativ, nachhaltig und zukunftsorientiert ist und der Vision eines nahezu autarken Gebäudes näherkommt. In Zusammenspiel mit weiteren Komponenten stellt das zentrale Wasserstoffsystem als Hauptbestandteil der Energieversorgung einen Autarkiegrad von bis zu 65 % in Aussicht. Gebäudetechnisch wurde innerhalb der Design-Phase nicht nur das Einzelgebäude betrachtet, sondern unter Berücksichtigung des Gebäudebestands für das Quartier ein innovatives und nachhaltiges Energiekonzept entwickelt. Ein weiterer Bestandteil des TGA-Konzepts ist ein unterirdischer Eisspeicher, photovoltaisch-thermische Kollektoren (PVT) und eine Wärmepumpe mit intelligenter Regelstrategie. In der praktischen Umsetzung wurde aufgrund der nur kurzen Aufbau- und Standdauer auf das Wasserstoffsystem verzichtet. Zudem wurde der Eisspeicher verkleinert, da auch hier eine unterirdische Errichtung weder sinnvoll noch umsetzbar gewesen wäre. Abgesehen von diesen situationsbedingten Einschränkungen konnte das System analog zur Planung realisiert werden. Das Energiekonzept des Neubaus wurde wie folgt implementiert:
Stromerzeugung
Für die Stromerzeugung sind PVT-Module auf dem Dach (110 m2; 52 PVT-Module mit 18,5 kWp Leistung) des Gebäudes installiert worden. Zusätzlich sind 56 m2 PV-Paneele mit 9 kWp Leistung an der Südwestfassade des Gebäudes integriert. Der produzierte Strom wird tagsüber bedarfsgerecht direkt in die Wohnungen geliefert. Überschüssiger Strom der PV-Anlage kann in der Batterie gespeichert und später zur Deckung des Energiebedarfs während der Nacht verwendet werden.
Warm- und Heizwasserbereitung
Der Gesamtwärmebedarf des Gebäudes ist sehr gering. Der Warmwasserbedarf ist allerdings deutlich höher als der Heizwärmebedarf, da das Gebäude für 12 Bewohner geplant ist. Zentraler Bestandteil der Anlagentechnik ist eine Wärmepumpe mit Eisspeicher und PVT-Anlage zur Warm- und Kaltwasserbereitung. PVT-Kollektoren liefern Niedertemperaturwärme für die Regeneration des Eisspeichers sowie als Wärmequelle für die Wärmepumpe. Für das Konzept wurde ein Eisspeicher mit einer Kapazität von 10 m3 geplant, der unterirdisch auf der Rückseite des Gebäudes platziert ist. Der Eisspeicher dient teilweise als saisonaler Energiespeicher, der als ein nicht isolierter Eisspeicher an das Erdreich gekoppelt ist. Letztlich ist dieser Eisspeicher eine Wärmequelle für Sole-Wasser-Wärmepumpen (10,5 kW thermische Leistung bei B0/W35). Eine Kombination dieser 3 Systeme erhöht die Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe erheblich. Zudem werden die PV-Module kontinuierlich heruntergekühlt, was zu einer Steigerung der Effizienz der PV-Module führt.
Heizen und Kühlen
Für die Heizung und Kühlung ist eine lehmbasierte (wassergeführte) thermisch aktivierte Zimmerdecke integriert worden. Bei Verwendung dieses Systems besteht ein Ziel darin, die Vorlauftemperatur zum Heizen zu reduzieren und die Vorlauftemperatur zum Kühlen zu erhöhen, damit das System effizienter arbeitet. Aufgrund der inhärenten Eigenschaft des genutzten Lehmputzes bleibt die Kontrolle über die Feuchtigkeit innerhalb eines Raums erhalten. Zusätzlich reduziert der Lehm die Schallreflexion und bietet eine angenehme Raumakustik.
Lüftung
Um die Luftqualität im Gebäude mit einem geringen Energieaufwand sicherzustellen, ist eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärme- und Enthalpierückgewinnungssystem verbaut. Die CUBEs erhalten jeweils einen Ventilator, der die Abluft aus dem CUBE fördert. Über eine poröse Platte in der Decke des CUBEs strömt frische Luft nach.
Konstruktion und Nachhaltigkeit
Das Gebäude ist als modulare Konstruktion in Holzmassivbauweise konzipiert worden. Dies garantiert neben dem hohen Vorfertigungsgrad auch Planungssicherheit und optimierten Ressourceneinsatz. Durch die clevere Kombination aus wiederverwendeten Baumaterialien, Bauteilen und lösbaren Konstruktionen unterstützt LOCAL+ zudem den Gedanken der Cradle-to-Cradle-Philosophie sowie den des Urban Minings. Grundidee ist in beiden Fällen der Kreislaufgedanke, durch den in der Bauwirtschaft nicht nur Abfall, sondern auch der CO₂-Fußabdruck minimiert wird.
Arbeit von über zwei Jahren zahlt sich aus
Das Projekt startete im Herbst 2019 mit dem Modul „Bauen im Bestand“ als Semesterprojekt an der Fachhochschule in Aachen. Zum Ende des Semester wurde dann entschieden, das Projekt beim Solar Decathlon 2021/22 offiziell einzureichen, woraufhin dem Projektteam im März 2020 ein eigenes Büro zur Verfügung gestellt und mit der weiteren Planung begonnen wurde. Die Organisation der Aufgaben und des Teams selbst fand direkt in den ersten Tagen statt. In den darauffolgenden Wochen wurden die jeweiligen Themenstrukturen vertieft. Zusätzlich wurden Arbeitsprozesse analysiert und so Schwachstellen erkannt, die im Folgenden optimiert wurden. Mitte März musste das Team wegen COVID-19 ins Homeoffice umziehen. Alle Arbeitsabläufe und die gesamte Kommunikation liefen von da an über Videokonferenzen oder Telefonate. Bis Dezember 2021 arbeitete das Team dann an den Details der einzelnen Wettbewerbskategorien, wobei 5 wettbewerbsinterne Abgaben gefordert waren, die sich mit den unterschiedlichen Aspekten (Nachhaltigkeit, Materialität, Energie oder Konstruktion) auseinandersetzten. In dieser Phase wurde auch das energetische Konzept unter Nutzung der LINEAR-Software erstellt. Ab Januar 2022 startete dann die Bauphase in Vorbereitung auf die Ausstellung in Wuppertal. Während der Bauzeit wurde der Demonstrator in Aachen vorgefertigt, bis er dann im Mai 2022 demontiert, nach Wuppertal transportiert und dort vom Team wieder eigenständig zusammengebaut wurde.
Unwetter zerstört Teile des Aufbaus
Kurz nach dem Start der Bauarbeiten in Wuppertal wartete eine weitere große Herausforderung auf das Team. Bereits während des Transports sowie zu Beginn der Aufbauphase sorgte ein Unwetter in Wuppertal für einen Wasserschaden am Baukörper. In unzähligen Sonderschichten mussten Materialien ausgetauscht und Reparaturen vorgenommen werden. Viele helfende Hände und ein vorbildlicher Teamspirit sorgten aber letztlich dafür, dass das Team es schaffte, pünktlich zur Ausstellungseröffnung die Baustelle abzuschließen und den Besuchern das fertige Projekt zu präsentieren. Und dieses konnte sich sehen lassen. Sowohl optisch als auch funktional haben die Studierenden und Projektbeteiligten ein großartiges Gebäude entworfen und gebaut, das von über 115 000 Personen während der öffentlichen Ausstellung bewundert werden konnte.
Fünfmal Podium für das Team LOCAL+
Mit dem ersten Platz in der Kategorie Urbane Mobilität überzeugte das Gesamtkonzept genauso wie mit dem zweiten Platz in den Kategorien Gebäudetechnik und Bauphysik sowie in der Kategorie Kommunikation und Bildung. Auch die Besucher belohnten das Team beim Peoples Choice Award mit dem zweiten Platz. Beim zusätzlich vergebenen Solar Award konnte man ebenfalls den zweiten Platz erreichen, was insbesondere auch die innovative Konzeption der technischen Systeme hervorhebt. Am Ende des Wettbewerbs konnte das Team aus Aachen einen beachtlichen 5. Platz in der Gesamtwertung erreichen. Gesamtsieger des Wettbewerbs wurde in diesem Jahr das Team RoofKIT vom Karlsruher Institut für Technologie. Alle Projekte und Ergebnisse im Detail finden Sie auf der Webseite des Solar Decathlon. An dieser Stelle herzlichen Glückwunsch an alle Teams und vor allem an das Team LOCAL+ aus unserer Heimatstadt Aachen für die herausragende Leistung.