Es ist 7:30.
Mein erster Kaffee steht bereit und ich zücke mein Smartphone, um die aktuellen Beiträge auf LinkedIn zu checken. Direkt fällt mir ein Beitrag ins Auge, in dem jemand auf die bahnbrechende Idee kommt, ChatGPT im Kontext BIM einzusetzen. Ich schmunzle und frage mich, wo das Metaverse und die Blockchain wohl dabei helfen könnten? Aber gut, vielleicht steckt doch etwas Inspirierendes darin. Ich schlucke den Köder und tauche ein. Einige Minuten später wird mir klar, dass der Beitrag zwar von ChatGPT handelt, mit BIM jedoch nicht viel zu tun hat. Der Autor fragt das Sprachmodell, wie man Elemente in Revit selektieren kann, wenn man nur deren IDs kennt. ChatGPT spuckt eine Antwort aus, sie stimmt sachlich mit der Hilfe überein. Die Euphorie überschlägt sich. Man stelle sich nur vor, was in Zukunft alles gehen wird, wenn sich alles exponentiell weiterentwickelt. Eine Bedarfsplanung geht rein, die technisch auf Nutzung, Effizienz, Kosten und Nachhaltigkeit optimierte Gebäudeplanung wird ausgespuckt. Tolle Idee, muss halt nur noch jemand die Details ausarbeiten. Zum Beispiel, wo der Trainingsdatensatz herkommen soll, wenn die Realität so aussieht, dass Informationen entweder nicht umfassend vorliegen, stark fluktuieren oder nicht widerspruchsfrei aus öffentlich zugänglichen Quellen abgeleitet werden können. Aber gut, blenden wir das alles mal aus, jedem Anfang wohnt schließlich ein Zauber inne. Die Realität besteht aus Rechtsstreitigkeiten, Nachträgen, Lieferproblemen und Fachkräftemangel. Auch kleine Schritte hin zu mehr Automation würden schon helfen. Ich mache mich auf den Weg zur Arbeit, als mir ein weiterer Gedanke kommt: Angenommen, eine Maschine plant wirklich irgendwann besser als der Mensch. Wie schaut es mit der Akzeptanz aus? Es gibt viel einfachere Dinge, die Maschinen aktuell zwar statistisch gut genug können, die es aber in der Praxis dennoch schwer haben. Autonomes Fahren z. B. ist trotz guter Erfolgsquoten längst nicht im Mainstream angekommen. Autofahren kommt mir, als ich gerade auf die Schnellstraße einbiege, nicht so schwierig vor wie die ganzheitliche Planung eines Bauwerkes. Ein autonomer PKW darf in unserem Land also nicht uneingeschränkt am Straßenverkehr teilnehmen, aber der Computer plant uns bald den Brandschutz? Eher unwahrscheinlich. Ich parke und schaue noch kurz in die Kommentare. ChatGPT soll erklären, wie man eine Revit-Datei in einer früheren Version öffnet. Die Antwort klingt so überzeugend, dass ich mich ernsthaft frage, ob ich all die Jahre etwas Entscheidendes übersehen habe. Nach näherer Betrachtung ist sie einfach falsch. Woher soll die Maschine auch wissen, dass das nicht geht, wenn man sie lediglich darauf trainiert hat, plausibel klingende Antworten zu geben? Hat ChatGPT überhaupt eine Revit-Lizenz? Vielleicht müssen wir uns darauf einstellen, die nächsten Jahre noch mit konventioneller Intelligenz (ironischerweise auch als KI abkürzbar) und eigener Erfahrung zu arbeiten.
Mittagspause 12:30.
Der mittlerweile ins Muskelgedächtnis eingebrannte Griff zum Handy führt mich irgendwann wieder in die App. Jemand schreibt, dass wir alle BIM vergessen können, „noBIM“ ist die Zukunft. Begleitet wird der Beitrag von einem völlig überladenen Diagramm, das selbst die mit roten Fäden verzierten Mindmaps aus Agentenfilmen blass aussehen lassen. Es zeigt Abhängigkeiten zwischen Softwareumgebungen und kommt zu dem Schluss, dass wir nur die Daten aus den Modellen befreien müssen, um mit mächtigen Datenverarbeitungspipelines darauf herumzurechnen. Dieses „noBIM“ hat ein massives Brandingproblem, denke ich mir. Warum sollte der strukturierte Umgang mit verschiedenen Daten aus Gebäudemodellen kein BIM sein? Na ja, gut, hier hat vielleicht jemand BIM mit Autorenplattformen verwechselt. Passiert! Ich schaue mir also genauer an, was hier geschrieben wird. Im Endeffekt, so der Autor, sind Daten der wahre Reichtum im Projekt, und wir sollen die umständlichen Werkzeuge vergessen, die uns zurückhalten, diesen Schatz zu bergen. Wie soll man da widersprechen? Er schlägt vor, dass man bloß noch ein einfaches Export-Tool für diese Befreiung benötigt und dann entweder mit Tabellenkalkulationen oder mit eigenen Skripten fortfahren kann. Klingt jetzt erstmal nicht neu, aber ganz sicher nicht danach, als würde es etwas vereinfachen. Menschen, die mit der digitalen Transformation ohnehin überfordert sind, sollen nun Programmieren lernen? Die Beinfreiheit ist eingeschränkt, dann gründe halt deine eigene Fluggesellschaft? Wer – ausgenommen vielleicht Elon Musk – würde das ernsthaft durchziehen? Aber gut, nehmen wir an, ChatGPT unterstützt irgendwann Laien bei der Umsetzung ihrer Anwendungsfälle in Code. Bleibt das Problem, dass man Daten strukturiert erfassen muss, damit man sie strukturiert verarbeiten kann. Im Land der Freitextfetischisten und Papierarchive auch 2023 ist noch ein langer Weg zu gehen. Wenn man mal ehrlich ist, dann gibt es in der Softwarelandschaft bei der integralen Planung auch heute noch einige Lücken, die man kurzzeitig mit eigenen Skripten überbrücken kann. Aber die Konsequenz sollte doch nicht sein, langfristig die Reise ins Usability-Mittelalter anzutreten. Vielmehr sollten alle Beteiligten ein besseres Gespür dafür entwickeln, womit eine Maschine arbeiten kann und womit nicht, und Verschwendung von Datenerfassungen in Form von Freitexten und handschriftlicher Information vermeiden. Mag ja sein, dass eine Maschine heutzutage sogar noch den meisten Datenmüll interpretiert bekommt, aber mit welchem Rechen- und Energieaufwand? Nachhaltigkeit und so.
Es ist knapp 23:00.
Zeit, ins Bett zu gehen. Warum ich wieder zum Smartphone greife, statt einfach zu schlafen, weiß ich auch nicht. Ich bekomme ein Whitepaper eines Softwareherstellers zum Thema „Sustainability“ in die Timeline gespült. Gut, ich habe genug Wegwerf-Adressen, also gebe ich wie gewünscht eine E-Mail-Adresse ein und lese vor dem Zubettgehen hinein. Was ich im Tausch für diese Kontaktdaten erhalte, ist ein Artikel, der auch genauso von ChatGPT hätte sein können. Wenig Konkretes, hauptsächlich Wikipedia-Wissen und einige Claims, gespickt mit hübschen Stock-Grafiken. Für eine große Neuerung steht die Ankündigung, dass man in Zukunft Herstellern erlauben wird, Nachhaltigkeits-Produktdeklarationen an digitale Bauteile zu knüpfen. Ich stelle mir kurz die Frage, wann das jemals jemand Herstellern ernsthaft verboten hätte. Die Nichtverfügbarkeit dieser Daten ist doch ziemlich die einzige Herausforderung dabei, Nachhaltigkeitsaspekte in die TGA-Planung einzubinden. Alles andere ist relativ gut verstanden. Notfalls kann man sogar mit obengenannten Scripting-Workflows die Brücke schlagen, sofern die Mainstream-Software hier noch keine einfachere Lösung bietet. Das Whitepaper bringt mich jedenfalls inhaltlich keinen Schritt weiter, ich lösche das Dokument und das Licht und drehe mich um.
Am Ende des Tages komme ich zu einem unbequemen Fazit: Die Zukunft bleibt spannend. Aber eine KI oder andere zukünftige Technologien werden es nicht alleine richten, wir müssen uns auch ändern, Softwarehersteller wie Planer. Nichts gegen Visionen, aber unausgegorene Claims helfen nicht. Wenn es nicht ums bloße Sammeln von „Likes“ oder „Abos“ geht, gehört weit mehr dazu als zwei Hypes nach dem Schema BIM + X zu verbinden und andere die „Details“ ausarbeiten zu lassen. ChatGPT und verwandte Technologien haben bezüglich harter Fakten ein schwerwiegendes Qualitätsproblem und am Ende setzen Sprachmodelle auch nicht die Steine aufeinander. Statt auf Wunder-Tech zu hoffen, lasst uns gemeinsam daran arbeiten, die Planungswelt jeden Tag ein Stück besser zu machen.
In dem Sinne: Gehen Sie voran und sammeln Sie eigene Erfahrungen. Zeigen Sie auf, wo Bedarf ist, und wünschen Sie sich eine integrierte Lösung. Ein passender Ort dafür ist unser Idea Channel.