Behaglichkeit nach DIN EN ISO 7730
In der DIN EN ISO 7730 „Ergonomie der thermischen Umgebung – Analytische Bestimmung und Interpretation der thermischen Behaglichkeit […]“ wird ein Modell zur Voraussage des Prozentsatzes an Menschen beschrieben, die ein Umgebungsklima wahrscheinlich als zu warm oder zu kalt empfinden. Der Prozentsatz an Unzufriedenen wird als PPD (predictes percentage of dissatisfied) bezeichnet und basiert auf dem vorausgesagten mittleren Votum (PMV) einer großen Personengruppe, die innerhalb von Experimenten anhand einer 7-stufigen Beurteilungsskala das Umgebungsklima bewertet haben. In Abbildung 1 sind die Beurteilungsskala und der Verlauf des PPD abhängig vom PMV dargestellt. Unter optimalen Bedingungen bei einem PMV von 0 werden noch 5 % der Personen im Raum unzufrieden mit dem Raumklima sein. Anders ausgedrückt bedeutet das, dass man nie alle Personen mit einem bestimmten Raumklima zufriedenstellen kann, sondern man definiert, wie groß der Prozentsatz an Unzufriedenen sein darf. Hierfür führt die DIN EN ISO 7730 drei Kategorien für das Umgebungsklima ein, welche sich durch den Prozentsatz der Unzufriedenen unterscheiden. In der DIN EN 16798-1 „Eingangsparameter für das Innenraumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden bezüglich Raumluftqualität, Temperatur [..]“ werden die Kategorien aus der DIN EN ISO 7730 um eine Stufe erweitert (siehe Tabelle 1).
Der PMV-Index beruht auf dem Wärmegleichgewicht des menschlichen Körpers mit seiner Umgebung. Als Parameter gehen in den PMV-Index die Lufttemperatur, die relative Luftgeschwindigkeit, die Luftfeuchte, die mittlere Strahlungstemperatur sowie der Energieumsatz des Körpers und die Bekleidungsisolation ein. Der Energieumsatz wird häufig in der metabolischen Einheit met und die Bekleidungsisolation in der Kleidungseinheit clo angegeben. Typische Werte für die beiden Größen und deren Bedeutung sind in Tabelle 2 und Tabelle 3 aufgeführt.
Auslegungstemperaturen aus der Norm
In der Heizlastberechnung nach DIN/TS 12831-1 wird bei fast allen Räumen, in denen sich Personen regelmäßig aufhalten, eine Auslegungstemperatur von 20 °C gefordert. Bei Räumen, die unbekleidet genutzt werden, z. B. Badezimmer und Umkleideräume, soll eine Temperatur von 24 °C eingehalten werden. In gewerblich genutzten Räumen, in denen stehende Tätigkeiten vorgesehen sind, werden 17 °C bei mittelschweren und 15 °C bei schweren Tätigkeiten gefordert. Vor allem die Beschreibung der gewerblichen Räume lässt darauf schließen, dass die Auslegungswerte anhand des Behaglichkeitsmodells abgeleitet worden sind. Deutlicher wird dieses bei der Betrachtung der DIN EN 16798-1. In dieser werden die Mindestauslegungswerte für Heizung und die Höchstwerte für Kühlung abhängig von der Kategorie und dem Aktivitätsgrad vorgegeben. Für den Winter wird eine Bekleidungsisolation von 1,0 clo und im Sommer von 0,5 clo angenommen (siehe Tabelle 4). Um zu prüfen, welche Behaglichkeitskriterien für die Auslegungstemperaturen angesetzt werden, werden die Temperaturen für die Grenzwerte der Behaglichkeitskategorien unter den angegebenen Randbedingungen ermittelt und mit den Normwerten verglichen (siehe Tabelle 5, die Temperaturen, auf die in der folgenden Diskussion explizit eingegangen wird, sind fett dargestellt). Die Werte aus dem Behaglichkeitsmodell decken sich sehr gut mit den Werten für die Sommerperiode aus der DIN EN 16798-1. Einzig in der Kategorie II wird eine Auslegungstemperatur von 26 °C gefordert, welche 0,4 K niedrigerer ist als die Temperatur, bei der 10 % der Personen unzufrieden sind. Anders sieht das für die Winterperiode aus: Hier weichen die Temperaturen für sitzende Tätigkeit zwischen dem Behaglichkeitsmodell und den Werten aus der Norm um bis zu 0,9 K voneinander ab. In den ersten beiden Kategorien liefert das Behaglichkeitsmodell niedrigere Temperaturen und dreht sich bei den beiden anderen Kategorien. Bei der stehenden Tätigkeit hingegen passen die Werte bei den ersten beiden Kategorien wieder gut. Wenn man die Werte aus der Heizlastberechnung mit der DIN 16798-1 vergleicht, kann man die Anforderungen der Heizlastberechnung mit denen aus der Kategorie II gleichsetzen. Im Vergleich zu dem Behaglichkeitsmodell ergibt sich bei den Werten der Heizlastberechnung ein ähnliches Bild wie bei der DIN EN 16798-1. Die Temperaturen der Kategorie II des Behaglichkeitsmodells sind bei den sitzenden und stehenden Tätigkeiten mit Bekleidung um ca. 1,0 K niedriger als in der Heizlastberechnung gefordert. Bei den Räumen, die unbekleidet genutzt werden, liefert das Behaglichkeitsmodell hingegen 25 °C für die Kategorie II und liegt damit um 1,0 K höher als die 24 °C, welche in der Heizlastberechnung angewendet werden.
Grundsätzlich ist zu erkennen, dass die Werte aus den Normen auf dem Behaglichkeitsmodell beruhen. Bei einzelnen Werten sind die Ergebnisse aus dem Modell aber für die Norm leicht angepasst worden. Die Gründe für die Anpassungen lassen sich aus den gegebenen Informationen nicht herleiten, vor allem da bei der DIN EN 16798-1 alle Eingabeparameter für das Behaglichkeitsmodell angegeben sind.
Einfluss der Auslegungstemperatur auf Leistung und Energiebedarf
Aus den Werten in Tabelle 5 erkennt man den logischen Zusammenhang, dass mit steigender Bekleidung die Temperatur im Raum niedriger sein kann, um das Umfeld als behaglich zu empfinden. Jetzt kann man sich die Frage stellen, was ein angebrachtes Maß an Komfort der Gebäudetechnik ist, um nicht einen unnötigen Energieverbrauch zu fördern. Ist es z. B. energetisch sinnvoll, ein behagliches Umfeld im Winter für Personen in sommerlicher Kleidung zu schaffen? Wie viele unzufriedene Personen kann man bei der Berechnung der Spitzenlasten akzeptieren? Um besser abschätzen zu können, welchen Einfluss die Auslegungstemperaturen auf die Lastberechnung und den Energiebedarf haben, werden im Folgenden bei zwei Beispielgebäuden die Heizlast nach DIN/TS 12831-1, die maximale Heizlast und der Jahresheizenergiebedarf aus einer Jahressimulation des Moduls dyn. Kühllast in LINEAR Building für mehrere Auslegungstemperaturen ermittelt (siehe Abbildung 2).
Wenn der Standort des Gebäudes in Aachen angenommen wird, liegt die Normaußentemperatur für die Heizlastberechnung bei -8,6 °C. Die niedrigste Außentemperatur des Standorts wird im Testreferenzjahr am 3. Januar erreicht und liegt bei -7,7 °C (siehe Abbildung 3). In den Gebäuden wird die Auslegungstemperatur in all den Räumen variiert, in denen sich Personen regelmäßig aufhalten und wo deshalb für die Heizlastberechnung eine Auslegungstemperatur von 20 °C vorgegeben wird. Bei der Jahressimulation werden, wie in der Heizlastberechnung vorgesehen, die inneren Lasten von Personen und Maschinen deaktiviert. Die Infiltration mit Außenluft ist bei den Räumen wie in der Heizlastberechnung eingestellt. Die solare Strahlung wird in der Jahressimulation berücksichtigt, da a) die solare Strahlung zu realistischeren Heizleistungen in der Übergangszeit führt (siehe Abbildung 4), und b) diese keinen Einfluss auf die maximale Heizleistung hat, weil die tiefsten Temperaturen in der Nacht herrschen.
In Abbildung 5 sind die Ergebnisse der Berechnungen für das Wohngebäude dargestellt. Die berechneten Heizlasten aus der DIN/TS 12831-1 liegen etwa 2 kW über der Heizlast, die aus der Jahressimulation ermittelt wurde. Grundsätzlich verlaufen die beiden Kurven über das betrachtete Temperaturband parallel zueinander. Die Unterschiede zwischen den beiden Verfahren zur Berechnung der Heizlast lassen sich zum einen durch die niedrigere Temperatur in der Heizlastberechnung erklären, zum anderen herrscht die niedrigste Außentemperatur in der Jahressimulation nur für eine kurze Zeit, sodass sich kein stationäres Temperaturgefälle durch die Wand einstellen kann, wie es in der Heizlastberechnung nach DIN/TS 12831-1 angenommen wird. In Abbildung 5 sind die Heizlastkurven mit einer Potenzfunktion approximiert, da dieser Funktionstyp die geringsten Abweichungen zu den Berechnungspunkten liefert. In dem untersuchten Temperaturband kann der Verlauf der Heizlast mit geringfügig größeren Abweichungen auch mit einer linearen Funktion abgebildet werden. Beim Heizenergiebedarf hingegen ist der Verlauf nach einer Potenzfunktion deutlicher zu erkennen.
Um den Einfluss der Änderung der Auslegungstemperatur auf die Heizlast und den Heizenergiebedarf besser darzustellen, werden in Abbildung 6 für das Wohngebäude und in Abbildung 7 für das Bürogebäude die relativen Änderungen zu dem jeweiligen Wert bei 20 °C dargestellt. Aus den Diagrammen wird deutlich, dass die Änderung der Auslegungstemperatur auf die Spitzenlast einen geringeren Einfluss hat als bei dem Energiebedarf über das Jahr. Die Heizlast ändert sich bei einem Grad Änderung der Auslegungstemperatur nur um ca. 4 %, wohingegen sich der Energiebedarf um ca. 11 % verändert. Ein Vergleich der Diagramme für beide Gebäudetypen zeigt, dass die Ergebnisse bei beiden Gebäuden ähnlich sind. Bei den niedrigen Temperaturen werden in beiden Fällen für die Heizlast und den Energiebedarf gleiche Änderungen ermittelt. Bei höheren Temperaturen werden die Unterschiede größer, liegen aber noch in der gleichen Größenordnung. Die Gebäudegeometrie bzw. das Verhältnis zwischen Gebäudeoberfläche zu Gebäudevolumen hat bei diesen Beispielgebäuden nur einen geringen Einfluss auf die Ergebnisse.
Zusammenfassung
Die in der Norm vorgegebenen Auslegungstemperaturen für die Lastberechnungen legen bereits ein sinnvolles Maß an, sodass für ca. 90 % der Nutzer ein behagliches Umfeld im Raum unter den entsprechenden Randbedingungen herrscht. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Nutzer im Sommer leichte kurze Kleidung und im Winter lange Kleidung mit Pullover oder Jacke tragen. Der Einfluss der Auslegungstemperatur auf die Spitzenlast für die Auslegung der Heizflächen ist verhältnismäßig gering und spielt somit höchstens eine Rolle, wenn sich die Leistung gerade im Bereich zwischen zwei Modellgrößen befindet. Der viel größere Einfluss zeigt sich aber im Betrieb der Anlage, da der Energiebedarf stark von der gewählten Temperatur im Raum abhängig ist. In der Planung kann man auf den Betrieb nur geringfügig Einfluss nehmen. Als Nutzer eines Gebäudes aber kann man abwägen, inwieweit der gewählte Kleidungsstil für die jeweilige Jahreszeit angemessen ist. So könnte man schlussendlich nur durch das Absenken der Betriebstemperatur zu einer nennenswerten Energieeinsparung beitragen, ohne auf ein behagliches Umfeld zu verzichten.
Dr. Peter Hollenbeck